Im umfangreichen Veranstaltungsprogramm der Leipziger Buchmesse 2019 spielte auch die Musik mit. Neben einem speziellen „Musiklehrertag“ am 22. März, wo Verlage entsprechendes Buchangebot vorstellten und mit Übungen und Workshops verbanden, gab es zwei Debatten, auf denen ver.di-Positionen vertreten wurden: Zunächst eine von der ConBrio Verlagsgesellschaft moderierte Kontroverse im Musikcafé in Halle 4 um „Quereinsteigen in den Lehrerberuf“.
Über den Lehrkräftemangel im Musikunterricht allgemeinbildender Schulen und mögliche Perspektiven sprachen neben Dr. Georg Biegholdt vom Bundesverband Musikunterricht und Ulrich Rademacher (VdM) auch Gabor Scheinpflug, Bundesvorsitzender der ver.di-Fachgruppe Musik und Dr. Ute Welscher von der Bertelsmann-Stiftung. Sie kündigte an, dass aktuell Material erhoben werde, um den tatsächlichen Umfang des Problems in den einzelnen Bundesländern zahlenmäßig zu erfassen und demnächst auch die Frage beantworten zu können, wo die Quereinsteiger für den Musikunterricht wirklich herkommen. Für Musikschullehrer, die oft zu oft prekären Bedingungen arbeiten, sei die Alternative vielfach sehr attraktiv, sofort fest angestellt, besser eingruppiert zu werden oder gar die Chance auf Verbeamtung zu bekommen, erläuterte Gabor Scheinpflug. „Der Pool der Fachkräfte wächst aber insgesamt nicht“, deshalb rissen die Weggehenden Löcher in Musikschulstrukturen, besonders im ländlichen Bereich. Mancherorts lägen Quereinsteigerquoten in den Lehrerberuf bei 50 bis 70 Prozent.

Foto: neue musikzeitung
Fachlich seien Musikschullehrer adäquat ausgebildet, um auch an allgemeinbildenden Schulen zu unterrichten. Doch mit Blick auf die didaktischen oder die konkreten Arbeitsanforderungen hinsichtlich voller Klassen oder der Bedingungen an Brennpunktschulen stünden auf Einzelunterricht oder Ensemblearbeit orientierte Musikschullehrer vor ähnlichen Problemen wie andere Quereinsteiger. Die bedeuten, so Biegholdt, eine Mehrbelastung für die vorhandenen Lehrer*innen in den Schulen, indem sie die unerfahrenen Kolleg*innen anleiten und begleiten sollten. „Es ist zu fragen, wie sinnvoll solche kurzfristigen Lösungen sind und was sie vor allem für die Kinder bringen. Funktioniert das wirklich?“, fragte der ver.di-Vertreter. Auch eine sinnvolle Verzahnung mit anderen Nachwuchsprogrammen mahnte er an. Schließlich würden an den Hochschulen die Lehramtsstudiengänge auch für das Fach Musik ausgebaut.
Teilhabe oder Bildung?
Bei einem zweiten Podium im Musikcafé ging es am 23. März um das Thema: „Kultur für alle? Wieviel Kultur braucht der Mensch?“ Debattiert wurde über kulturelle Teilhabe und musikalische Grundversorgung. Die soziale Herkunft, das Elternhaus seien auch bei musikalischer Bildung ein entscheidender Faktor, leitete Ute Welscher aus Studien und Evaluierungen der Bertelsmann-Stiftung ab. ver.di-Vertreterin Dr. Anja Bossen stellte klar, dass es aktuell nicht um ein „Wieviel“, sondern leider um ein „Wenig“ an Kultur und musikalischer Grundversorgung gehe. Bereits in der Ausbildung von Erzieherinnen für die Jüngsten spiele Musik kaum eine Rolle, die Defizite setzten sich auf dem weiteren Bildungsweg der Kinder fort. Musikunterricht falle oft aus. Doch, so Bossen, sehe sie einen wichtigen Unterschied zwischen kultureller Teilhabe und Bildung. Ziel musikalischer Grundversorgung müsse eine kulturelle Bildung der Kinder und Jugendlichen als Bestandteil ihres Lebens sein. Sollten Programme, wie sie etwa die Bertelsmann-Stiftung auflege, darauf zielen, die staatliche Hoheit oder Verantwortung teilweise zu übernehmen? Das sei nicht der Fall, so Welscher, man sichere nicht Grundversorgung, sondern mache Angebote „on Top“. Man wolle politisch auch erreichen, dass etwa die „Bildungsgutscheine“ aus dem staatlichen Teilhabepaket mehr genutzt werden, indem Mittel mit weniger bürokratischem Aufwand abgerufen werden könnten und ohne zu stigmatisieren. Die ver.di-Vertreterin sprach sich für eine bessere kulturelle Grundversorgung aus. Es solle Orientierungsangebote zur Auswahl geben, in deren Rahmen Kinder und Jugendliche sich ausprobieren könnten. Hinsichtlich des „Rates für Kulturelle Bildung“, der auf dem Podium durch Mustafa Akca von der Komischen Oper Berlin vertreten war, wünschte sich Bossen, dass dort noch mehr Akteure vertreten seien, „die die eigentliche Arbeit machen, etwa Musikpädagogen“. Auch finde sie, dass zu viel über Kinder und Lehrer gesprochen werde als mit ihnen selbst. Ihre Stimme sollte gehört werden.