Der Rat der Künste Düsseldorf hatte am 9. Februar 2019 ins Stadttheater zu einer Tagung über die prekäre Lebenssituation von Künstlern eingeladen: „Von der Selbstausbeutung in die Altersarmut – Künstler suchen Perspektiven“ lautet der plakative Titel, der zugleich die Aufforderung enthält, sich nicht im Elend zu verkriechen, sondern gemeinsam mit Künstlerkolleg*innen aktiv für die materielle Anerkennung seiner Leistung zu kämpfen.
Nachdem Prof. Christoph Butterwegge (Uni Köln) Grundlegendes über „Armut in einem reichen Land“ erläutert hatte, ging es direkt zur Zielgruppe über: Sympathisch mag es ja sein, aber weiter hilft es nicht. „Künstler*innen entziehen sich dem Datenerhebungswahn“, beschrieb Hanne Schweitzer vom Büro gegen Altersdiskriminierung eine Dilemma: Die Altersarmutsexpertin und Journalistin listet unterschiedliche Erhebungen auf, die mit teils schmaler Datenbasis die Armut der Kunstschaffenden beziffern: KSK und Statistisches Bundesamt, Monitoring der Bundesregierung und Verbandsumfragen signalisieren übereinstimmend, dass nur wenige Künstler*innen über genügend Einkommen verfügen. Absolventen der Kunstakademien, sagt Schweitzer, „reichen an die Einnahmen anderer Akademiker nur im Traum heran“. Das führe dazu, dass unter den Künstler*innen im Rentenalter Frauen zu 50 Prozent und Männer zu 40 Prozent weniger als 800 Euro Rente erhalten.

Foto: Christian Steinmetz
Hanne Schweitzer nannte weitere Fakten, die Ältere benachteiligen: Ausstellungen für 50plus-Künstler*innen sind mehr als selten, Stipendien enden mit spätestens 40 Jahren, wenn sie sich nicht ohnehin an Kunsteinsteiger richten. Rund 80 Interessierte nicken wissend und applaudieren der Faktensammlerin, die mit der ersten Zeile der Doktrin Heinrich Heines schließt: „Schlage die Trommel und fürchte dich nicht.“
Gegründet im April 2018, beleuchtet der Rat der Künste Düsseldorf die soziale Situation der Künstlerszene auf dieser Tagung in Kooperation mit dem Landesbüro für Bildende Kunst und dem Verein der Düsseldorfer Künstler. Auf dem Podium treffen Kunststudentin Katharina Schultz, die die unbezahlte Arbeit bei Ausstellungen vom Wandanstrich bis zum Transport kritisiert, und der Künstler Karl-Heinz Müller aufeinander, der mit 67 Jahren 400 Euro Grundsicherung erhält und das „bedingungslose Sozialhilfe“ nennt. Wobei nicht einmal seine Lagermiete als Kosten anerkannt wird. Anita Frei-Krämer, Künstlerin in Kehl und Bielefeld, ver.di-Mitglied und stellvertretendes Mitglied im Beirat der Künstlersozialkasse KSK, ruft vom Podium aus dazu auf, „den pragmatischen Teil nicht zu vergessen und Geld für Leistung zu fordern“. Die studierte Grafik-Designerin hat in ihrem Lebensentwurf immer Platz freigeräumt für Aktivitäten in Organisationen wie der Fachgruppe Bildende Kunst. „Wir steigern die Lebensqualität aller“, betont die 68-Jährige, „aber der Markt ist nicht nett zu uns.“ Harte Verhandlungen über Honorare, Sponsorensuche, ehrenamtliche Arbeit und Nebeneinkünfte über VHS-Kurse oder das Kuratieren von Ausstellungen kennt die Künstlerin und Mutter von drei Kindern ihr Leben lang. „Das ist Lebenskunst“, sagt Frei-Krämer und will ihre Kolleg*innen im Saal aus der Passivität holen.

Foto: Ludger F.J. Schneider
Denn es soll nicht nur klug geredet werden über die Fakten zur prekären Lebenssituation junger wie älterer Künstler. Gemeinsame Aktionen sind das Ziel des Rates. Künstler*innen sollen Druck aufbauen. Deshalb lag auf jedem Stuhl das Manifest „Künstler*innen gegen Altersarmut“ mit sechs praktischen Forderungen an die lokale Politik und den Gesetzgeber in Land und Bund. Der Rat der Künste Düsseldorf und seine Sprecherin Corina Gertz wollen Vorreiter bei der kreativen Bewältigung von Altersarmut sein: Bezahlbare und altersgerechte Wohnateliers, die Unterstützung von Künstlerwohngenossenschaften, projektunabhängige Stipendien werden genannt. Und außerdem geht es ganz aktuell darum, dass Künstler*innen bei der Besiedlung des Düsseldorfers Filetgrundstücks auf dem Areal der ehemaligen Brauerei Schlösser berücksichtigt werden. „Betroffene müssen aufstehen und ihre Forderungen gemeinsam nach außen tragen“, appelliert Gertz, um ihre Kolleg*innen ein Stück aus der einsamen Individualistenecke zu holen.
Dazu trugen am 9. Februar noch drei Workshops bei, die praktische Perspektiven thematisieren: Über alternative Finanzierungen durch Kultur-Euro, Mäzene, private Sponsoren und Stiftungen wird debattiert. Unterschiedliche Modelle von Bau- und Wohngenossenschaften fürs Arbeiten und Leben werden vorgestellt. Und die Künstler*innen reflektieren Öffentlichkeitsarbeit – von der Entwicklung pressewirksamer Projekte und neuer Förderprogramme bis zur Gesprächssuche mit dem BBK Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler und mit ver.di über fehlende Ergebnisse trotz jahrelanger Verhandlungen über Künstlerhonorar und Ausstellungsvergütung. Eine Kernforderung von ver.di, die im Januar auf der Bundesfachgruppenkonferenz Bildende Kunst erneuert wurde.