„Mare Manuscha“ – das bedeutet „unsere Menschen“ in der Sprache der Roma und Sinti, die immer noch als „Zigeuner“ diskriminiert werden. „Es ist an der Zeit, die Opferrolle abzulegen und unseren Beitrag zu den europäischen Kulturen sichtbar zu machen“, sagt Musiker und Politiker Romeo Franz. Es war seine Motivation, dazu ein Buch zusammen mit der freien Journalistin Cornelia Wilß herauszugegeben.

In dreizehn Portraits – vor allem von Kreativen aus Theater, Musik, Malerei, Film, Literatur und Fotografie – zeichnen sie ein facettenreiches Bild vom vielfältigen Leben und Kunstschaffen der Menschen mit Romno-Hintergrund; die Fotos von Alexander Paul Englert spiegeln ihre Einzigartigkeit. Alle Schicksale sind geprägt von Antiziganismus, den tief verwurzelten Ressentiments gegenüber dieser Minderheit. Tenor Manolito M. Franz wurde in seinem Beruf als Opernsänger „immer wieder irgendwie als Sinto fokussiert. Dadurch entstand in mir das Gefühl, besser sein zu müssen als meine Nicht-Sinti-Kollegen, um gleichermaßen respektiert zu werden.“ Diese Erfahrung teilt er mit vielen – etwa der Frauen- und Menschenrechtlerin Nicoletta Bitu: „Meine Eltern wollten die Stereotype über Roma dekonstruieren: Ich musste die Sauberste, die Klügste, die Beste sein. Deswegen war ich auch Klassenbeste.“ Der Maler Imrich Tomáš erzählt: „In der Schule wurde man verprügelt, weil man ein ‚Zigeuner‘ war.“ Aber gerade als Künstler dürfe man sich nicht „in eine ethnische Schublade stecken lassen“.
Wege der portraitierten Künstler*innen kreuzen sich in der Berliner Galerie Kai Dikhas, der politischen Aktivist*innen in der Hildegard-Lagrenne-Stiftung, die durch Bildungsprojekte dem Antiziganismus entgegenwirken und die Karrieren von Menschen mit Romno-Hintergrund fördern will. Besonders in der Musikgeschichte der europäischen Mehrheitsgesellschaft finden sich viele Spuren der Romno-Minderheit. So geht der Flamenco auf den Raga zurück, einen Tanz aus Indien, dem Herkunftsland der Sinti und Roma. Franz Liszt und andere bekannte Komponisten bewunderten die Roma-Musik und mehr als 80 Opern seien von ihr inspiriert worden, sagt Riccardo M Sahiti, Gründer und Dirigent der Roma- und Sinti-Philharmoniker. Er erinnert daran, dass nach dem Zweiten Weltkrieg viele Noten der jüdischen Klezmer-Musik verbrannt waren und es dem besonderen musikalischen Gedächtnis von Roma-Musiker*innen zu verdanken sei, dass dieser Stil wiederbelebt werden konnte.
Die in dem sorgfältig gestalteten Band versammelten Gesprächstexte entstanden zwischen 2015 und 2018. Sie vermitteln Innenansichten in Kunstschaffen und politisches Engagement der Interviewten, die der Historiker Udo Engbring-Romang durch Daten und Fakten in die Geschichte der Roma und Sinti einordnet. Bis heute wirkt das Trauma des nationalsozialistischen Völkermords fort, dem 70 Prozent aller deutschen Menschen mit Romno-Hintergrund zum Opfer fielen.
Der Band zeigt die Vielfalt der Sinti- und Roma-Kultur jenseits herkömmlicher „Zigeuner“-Klischees und verortet die Einzelschicksale in der kollektiven Geschichte von Verfolgung und Diskriminierung. Ein spannendes Lesebuch, das kulturelles Verständnis und politische Aufklärung befördert!
Romeo Franz/ Cornelia Wilß (Hrsg.): Mare Manuscha. Innenansichten aus Leben und Kultur der Sinti & Roma, mit Fotografien von Alexander Paul Englert, Edition Faust 2019, 248 Seiten, 28 Euro, ISBN 978-3-945400-57-9