Mitte Dezember verabschiedete das ungarische Parlament ein neues Gesetz, das der rechtspopulistischen Orbán-Regierung ermöglicht, sämtliche Kultureinrichtungen unter ihre Kontrolle zu bringen. Tausende Menschen demonstrierten dagegen in Budapest, doch die Fidesz-Funktionäre setzten sich durch, obgleich der Gesetzestext nicht mehr ganz so radikal ausfällt, wie ursprünglich befürchtet.
Auf dem zentral gelegenen Madách-Imre-Platz, einer der berühmtesten Adressen für das Kulturleben der Hauptstadt, sammelten sich an diesem kalten Montagabend Schauspieler*innen und Musikmachende, Tänzer*innen, Studierende und Verleger*innen, darunter zahlreiche prominente Gesichter der ungarischen Kunstszene. Es wurde viel rezitiert, gesungen, und aus klassischen Literaturwerken zum Thema Zensur vorgelesen. Vor allem wurde es aber gegen ein Vorhaben der Regierung protestiert, das Theater, Buchverlage und andere Kultureinrichtungen noch mehr auf Linie bringen soll, als es ohnehin bereits der Fall ist: „Wir werden die Kultur der Vielfalt verlieren, und der nächste Schritt wird der Verlust der Freiheit sein“, sagte Beáta Barda, Geschäftsführerin des unabhängigen Theaterkollektivs Trafó, in ihrem Redebeitrag. „Es muss möglich bleiben, unsere Meinungen zu äußern, ohne dabei den Interessen irgendeiner Partei zu dienen“, betonte auch die Schauspielerin und Professorin Franciska Farkas.
Ob das im heutigen Ungarn noch gegeben ist, darf man mittlerweile bezweifeln: Zwei Tage nach der Protestaktion peitschte die Fidesz-Mehrheit das neue Gesetz im Parlament durch. Bereits die Begründungen der Novelle scheinen eher aus einem dystopischen Fantasieroman zu stammen, als von Abgeordneten eines EU-Mitgliedstaats anno 2019 verfasst. So sollen die Aktivitäten im Kulturbereich „die Interessen an das Bestehen, das Wohl und das Wachstum der Nation aktiv schützen“. Um sicherzustellen, dass diese „grundsätzliche Erwartung“ erfüllt wird, soll ein „Nationaler Kulturrat“ ins Leben gerufen werden – mit der Aufgabe, „die Kulturstrategie“ des Landes und „die Entwicklungspläne für die Branche“ zu bestimmen. Vorsitzender dieses neue Gremiums wird Minister Miklós Kásler sein, der für „menschliche Ressourcen“, also unter anderem für Bildung, Gesundheit und Kultur zuständig ist.
Des Weiteren soll der Kulturrat aus dem Leitungspersonal „strategischer Kulturinstitutionen“ bestehen, also jener repräsentativen Einrichtungen, die selbstverständlich so ausgewählt wurden, dass Fidesz-nahe Funktionäre wie Attila Vidnyánszky, der umstrittene Intendant des Nationaltheaters in Budapest, über eine stabile Mehrheit verfügen werden. Letzterer findet „die Erwartung, dass die Theater transparent wirtschaften, nicht nur völlig legitim“, sondern er „hätte auch keine Angst, wenn das Ministerium für Menschliche Ressourcen gelegentlich auch Themenschwerpunkte setzt“. Genau darauf laufen nämlich die konkreten Gesetzesbestimmungen hinaus, denn die bisher unabhängigen Kultureinrichtungen werden künftig entweder die Einmischung des neuen Gremiums akzeptieren, oder auf die öffentliche Finanzierung verzichten müssen.
Im Hintergrund der traurigen Geschichte steht das Debakel, das die Fidesz bei den Kommunalwahlen vor wenigen Monaten erlitt. Weil die Opposition endlich ihre internen Streitereien beilegen konnte und gemeinsame Kandidaten stellte, verlor Orbáns Partei in vielen Großstädten, einschließlich in Budapest, wichtige Bürgermeisterposten. Vielerorts bedeutete das ein Ende der vielfältigen Schikanen, die vorher für alternative oder regierungskritische Kulturbetreiber*innen Teil des Alltags waren. Der neue, liberale Oberbürgermeister der Hauptstadt Gergely Karácsony sicherte diesen Einrichtungen sogar seine volle Unterstützung zu, und er engagierte sich explizit für eine faire und stabile Finanzierung ihrer Projekte. Mit dem neuen Gesetz wird es nun aber für die Kommunalbehörden deutlich schwieriger, etwa unabhängige Theater, Gemeinschaftszentren oder Ausstellungsräume finanziell zu unterstützen, ohne dass die Regierung die Agenda diktiert. Und selbst bei der Auswahl des Führungspersonals dieser privaten, meistens als Vereine organisierten Einrichtungen wird der Kulturrat beteiligt werden müssen, wenn ein Teil der Budgets direkt oder indirekt aus dem zentralen Haushalt kommen soll.
Zwar fällt der nun verabschiedete Gesetzestext etwas milder aus als die ursprüngliche Version, die Anfang Dezember präsentiert wurde. So verzichtete man mittlerweile auf die Abschaffung des landesweiten Kulturfonds, der gegenwärtig zahlreiche Projekte finanziert. Auch das geplante Aufsichtsgremium, bei dem Buchverlage die Manuskripte hätten einreichen müssen, ist vom Tisch. Grund dafür ist zum Teil der Widerstand, auf den diese weiteren Eingriffe in die Kulturfreiheit selbst bei Fidesz-Abgeordneten und regierungsnahen Kulturschaffenden stießen. Es gehört aber auch zur altbewährten Taktik Orbáns, zunächst einen in aller möglichen Hinsicht radikalen Vorschlag zu machen, um dann einige Rückzieher als vernünftige Kompromisse zu verkaufen: Dabei bleibt fast immer der Kern des Vorhabens bestehen. Das Spiel erwies sich in den letzten Jahren insbesondere in der Beziehung mit der EU als wunderbare Durchsetzungsstrategie. Der Gegner kann sein Gesicht wahren, die Öffentlichkeit verliert sich in technischen Details und schaltet irgendwann ihre Aufmerksamkeit um, und der Gewinner steht fest.